Jesajas Wirken als Prophet in Juda (Kapitel 6,1–8,22)

Gott sendet Jesaja zu seinem Volk

Es war in dem Jahr, als König Usija starb. Da sah ich den Herrn auf einem hohen, gewaltigen Thron sitzen. Der Saum seines Gewandes füllte den ganzen Tempel aus. Er war umgeben von mächtigen Engeln, den Serafen. Jeder von ihnen hatte sechs Flügel. Mit zwei Flügeln bedeckten sie ihr Gesicht, mit zweien ihren Leib, und zwei brauchten sie zum Fliegen. Sie riefen einander zu:

»Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der allmächtige Gott! Seine Herrlichkeit erfüllt die ganze Welt.«

Ihre Stimme ließ die Fundamente des Tempels erbeben, und das ganze Heiligtum war voller Rauch. Entsetzt rief ich: »Ich bin verloren! Denn ich bin ein Sünder und gehöre zu einem Volk von Sündern. Mit jedem Wort, das über unsere Lippen kommt, machen wir uns schuldig![a] Und nun habe ich den Herrn gesehen, den allmächtigen Gott und König!«

Da flog einer der Serafen zu mir mit einer glühenden Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar geholt hatte. Er berührte damit meinen Mund und sagte: »Schau, die glühende Kohle hat deine Lippen berührt. Deine Schuld ist jetzt weggenommen, dir sind deine Sünden vergeben.«

Danach hörte ich den Herrn fragen: »Wen soll ich zu meinem Volk senden? Wer will unser Bote sein?« Ich antwortete: »Ich bin bereit, sende mich!« Da sprach er: »Geh und sag diesem Volk: ›Hört mir nur zu, ihr werdet doch nichts verstehen. Seht nur her, ihr werdet doch nichts erkennen!‹ 10 Sag ihnen das, und mach ihre Herzen hart und gleichgültig, verstopf ihre Ohren und verkleb ihre Augen! Sie sollen weder sehen noch hören noch mit dem Herzen etwas verstehen, damit sie nicht umkehren und geheilt werden.«

11 Ich fragte: »Herr, wie lange soll das so gehen?«, und er antwortete: »Bis die Städte entvölkert und zerstört sind, bis die Häuser leer stehen und das ganze Land zur Wüste geworden ist. 12 Ich, der Herr, werde seine Bewohner in fremde Länder verschleppen. Ganz Israel wird einsam und verlassen daliegen. 13 Und sollte auch nur ein Zehntel der Bevölkerung im Land zurückgeblieben sein, wird es noch einmal verwüstet werden. Das Volk gleicht dann einem gefällten Baum[b], von dem nur noch der Stumpf übrig geblieben ist. Doch aus diesem Wurzelstock wird einmal etwas Neues wachsen: ein Volk, das allein mir gehört.«

Der Herr wendet die drohende Gefahr von Jerusalem ab

Als Ahas, der Sohn Jotams und Enkel Usijas, König von Juda war, versuchten König Rezin von Syrien und König Pekach von Israel, der Sohn Remaljas, Jerusalem zu erobern. Doch sie konnten die Stadt nicht einnehmen. Dem Königshaus wurde gemeldet: »Syrische Truppen sind in Israel angekommen.« Der judäische König und das Volk zitterten vor Angst wie Bäume im Sturm.

Da gab der Herr dem Propheten Jesaja den Auftrag: »Geh mit deinem Sohn Schear-Jaschub (›Ein Rest kehrt um‹) König Ahas entgegen. Du wirst ihn am Ende der Wasserleitung antreffen, die vom oberen Teich herkommt, an der Straße zu dem Feld, auf dem die Tuchmacher ihre Stoffe bleichen. Sag ihm, er soll nichts Unüberlegtes tun, sondern Ruhe bewahren. Ermutige ihn mit dieser Botschaft: Hab keine Angst und lass dich nicht einschüchtern! Rezin und der Sohn von Remalja stürmen zwar wutschnaubend mit ihren Heeren gegen dich heran, doch sie sind nichts als verkohlte, qualmende Holzstummel. Der syrische und der israelitische König haben sich einen bösen Plan ausgedacht. Die beiden sagen: ›Wir wollen nach Juda hinaufziehen. Erst schüchtern wir die Leute ein, dann erobern wir Jerusalem, und zuletzt machen wir den Sohn von Tabeal zu ihrem neuen König.‹ Aber ich, der Herr, sage: Daraus wird nichts! Es wird ihnen nicht gelingen! Damaskus bleibt auch weiterhin nur die Hauptstadt von Syrien, Rezin muss seine Eroberungspläne aufgeben. Und das Königreich Israel wird nur noch 65 Jahre bestehen; dann wird es das Volk nicht mehr geben. Bis dahin bleibt Samaria Hauptstadt, und der Sohn von Remalja muss sich mit der Herrschaft über Israel begnügen.

Vertraut jetzt mir, dem Herrn! Wenn ihr nicht fest im Glauben steht, dann könnt ihr überhaupt nicht bestehen!«

Der Herr gibt Ahas ein Zeichen

10 Kurz darauf ließ der Herr wieder eine Botschaft an König Ahas überbringen: 11 »Fordere von mir, dem Herrn, deinem Gott, ein Zeichen; ich will dir mein Versprechen bestätigen. Verlang, was du willst: ein Zeichen hoch oben am Himmel oder aus der Tiefe der Totenwelt.«

12 Doch Ahas wehrte ab: »Nein, nein, darauf lasse ich mich nicht ein! Ich will den Herrn nicht auf die Probe stellen.«

13 Aber Jesaja erwiderte: »Hört, ihr vom Königshaus! Reicht es euch nicht, dass ihr den Menschen zur Last fallt? Müsst ihr auch noch meinem Gott zur Last fallen? 14 Jetzt gibt euch der Herr von sich aus ein Zeichen: Die junge Frau[c] wird schwanger werden und einen Sohn bekommen. Immanuel (›Gott ist mit uns‹) wird sie ihn nennen. 15 Nur von Butter und Honig ernährt er sich, bis er alt genug ist, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. 16 Doch ehe der Junge dieses Alter erreicht, werden die Länder der beiden Könige, vor denen du so schreckliche Angst hast, verwüstet sein.«

Auch Juda wird verwüstet werden

17 »Aber auch für dich, deine Familie und dein Volk wird der Herr schlimme Zeiten anbrechen lassen. Sie werden schrecklicher sein als alles, was geschehen ist, seit sich Israel von Juda trennte. Das Unglück kommt in Gestalt des Königs von Assyrien. 18 Der Herr wird die Feinde herbeipfeifen. Wie ein Fliegenschwarm kommen sie von den weit entfernten Nilarmen, aus Assyrien ziehen sie heran und bedecken das Land wie ein riesiges Bienenvolk. 19 Überall lassen sie sich nieder: in steilen Schluchten und engen Felsspalten, in den Dornenhecken und an jeder Wasserstelle. 20 Dann wird der Herr den assyrischen König von der anderen Seite des Euphrat ins Land holen und als ›Rasiermesser‹ benutzen. Er wird euch die Haare am Kopf und am ganzen Körper abrasieren, selbst den Bart schneidet er ab, so dass ihr in Schimpf und Schande dasteht.

21 In dieser Zeit wird jede Familie nur eine junge Kuh und zwei Ziegen besitzen. 22 Die aber werden so viel Milch geben, dass man Butter daraus machen kann. Wer überlebt hat und im Land bleiben konnte, wird sich von Butter und Honig ernähren.

23 Die großen Weinberge mit ihren tausend Weinstöcken, jeder einzelne ein Silberstück wert, sind dann mit Dornengestrüpp und Unkraut überwuchert. 24 So verwildert das Land. Man geht dort nur noch hin, um mit Pfeil und Bogen zu jagen. 25 Die fruchtbaren Berghänge, die man heute mit der Hacke bearbeitet, verwandeln sich in ein unwegsames Dickicht aus Dornengestrüpp und Unkraut. Jeder meidet diese Gegend. Nur Rinder, Schafe und Ziegen treibt man zum Weiden dorthin.«

Schnelle Beute, rascher Raub

Der Herr sprach zu mir: »Nimm eine große Tafel und schreib darauf in gut lesbarer Schrift: ›Schnelle Beute, rascher Raub‹.« Ich zeigte die Tafel zwei zuverlässigen Zeugen, und zwar dem Priester Uria und Secharja, dem Sohn von Jeberechja.

Als ich dann mit meiner Frau, der Prophetin, schlief, wurde sie schwanger und bekam einen Sohn. Der Herr befahl mir: »Nenn ihn ›Schnelle Beute, rascher Raub‹. Denn bevor das Kind ›Vater‹ und ›Mutter‹ sagen kann, wird der König von Assyrien die Städte Damaskus und Samaria erobern und ihre Schätze plündern.«

Juda wird vom assyrischen Heer überrollt

Weiter sagte der Herr zu mir: »Dieses Volk verachtet das ruhig fließende Wasser des Siloahkanals in Jerusalem. Sie sind voller Schadenfreude über das, was mit Rezin und Pekach passiert.[d] Deshalb hetze ich den König von Assyrien auf sie, er wird mit seinem gewaltigen Heer ins Land einfallen. So wie der Euphrat bei Hochwasser zu einem reißenden Strom anschwillt und über die Ufer tritt, so wird sich dieses Heer auf Juda zuwälzen und das Land überfluten. Das Wasser wird dem Volk bis zum Hals stehen. Dein ganzes Land, Immanuel, wird von ihnen bedeckt sein.«

Wer Gott verachtet, muss die Folgen tragen

Erhebt nur das Kriegsgeschrei, ihr Völker – es wird euch angst und bange werden! Hört genau zu, ihr fernen Nationen: Rüstet euch ruhig zum Krieg – wenn es so weit ist, werdet ihr weiche Knie bekommen! 10 Schmiedet Pläne und fasst Beschlüsse, so viel ihr wollt – sie werden scheitern, nichts wird euch gelingen! Denn Gott ist mit uns.[e]

11 Der Herr hat mich mit seiner starken Hand gepackt. Er warnte mich davor, den Irrweg dieses Volkes mitzugehen. 12 Er sagte zu mir: »Du und alle, die auf deiner Seite stehen, lasst euch nicht beirren, wenn dieses Volk von Verschwörung redet. Habt keine Angst vor dem, was sie fürchten! 13 Mich allein sollt ihr ehren, denn ich bin der Herr, der allmächtige Gott. Wenn jemand zu fürchten ist, dann ich! 14 So werde ich für euch zum heiligen Zufluchtsort, für andere aber zum Stein, über den sie stolpern. Ich bin ein Fels, über den Israel und Juda stürzen, eine versteckte Falle, in welche die Einwohner von Jerusalem hineinlaufen. 15 Viele werden stolpern und sich beim Sturz die Knochen brechen, viele werden in die Falle laufen und sich darin verfangen. 16 Vertrau meine Weisung denen an, die mir die Treue halten; sie sollen meine Botschaft hüten und bewahren.«

17 Der Herr hat sich von den Nachkommen Jakobs abgewandt. Aber ich warte auf seine Hilfe; ich hoffe darauf, dass er sich uns wieder zuwendet. 18 Seht her, ich und meine Kinder, die der Herr mir gegeben hat, wir sind lebende Botschaften. Durch uns spricht der Herr, der allmächtige Gott, der auf dem Berg Zion wohnt, zum Volk Israel.

19 Doch die Leute lehnen das Wort des Herrn ab. Sie suchen lieber Rat bei Menschen, die mit den Geistern der Verstorbenen Verbindung aufnehmen, oder sie befragen Wahrsager, die geheimnisvoll flüstern und murmeln. Wenn sie auch euch dazu verführen wollen, dann entgegnet: »Warum wendet ihr euch nicht eurem Gott zu? Wissen die Toten etwa mehr über die Lebenden als der Herr?« 20 Richtet euch nach Gottes Weisungen und glaubt dem, was er euch sagt! Wer sich daran nicht hält, dessen Nacht nimmt kein Ende! 21 Verdrossen und hungrig muss er durch das Land streifen. Der Hunger quält ihn, er wird rasend vor Wut und verflucht seinen König und seinen Gott. Wohin er auch blickt, zum Himmel 22 oder zur Erde, er sieht nur erdrückende Finsternis, Elend und Unglück. Er ist im dunklen Tal der Hoffnungslosigkeit gefangen.

Footnotes

  1. 6,5 Wörtlich: Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und wohne mitten in einem Volk mit unreinen Lippen. – Vgl. »rein/unrein« in den Sacherklärungen.
  2. 6,13 Wörtlich: einer Terebinthe oder Eiche.
  3. 7,14 Oder: Jungfrau.
  4. 8,6 Wörtlich: Über Rezin und den Sohn von Remalja freuen sie sich. – Der historische Hintergrund der Aussage ist unsicher.
  5. 8,10 Hebräisch: »Immanuel« – eine Anspielung auf den verheißenen Retter. Vgl. Vers 8 und Kapitel 7,14.