Beginning
Eliphas ermahnt Hiob die Züchtigung anzunehmen
5 Rufe doch! Ist einer, der dir antwortet?
Und an welchen von den Heiligen willst du dich wenden?
2 Denn den Toren erwürgt der Zorn,
und den Einfältigen tötet der Eifer.
3 Ich selbst habe einen Toren gesehen, der Wurzel schlug;
sobald ich aber sein Gehöft verfluchte,
4 waren seine Söhne vom Glück verlassen
und wurden unterdrückt im Tore, und niemand rettete sie;
5 seine Ernte fraß der Hungrige
und nahm sie ihm aus den Dornen heraus,
und sein Vermögen schnappten die Habgierigen weg.
6 Denn Unglück wächst nicht aus dem Staub hervor,
und Unheil sproßt nicht aus der Erde;
7 sondern der Mensch ist zum Unglück geboren,
wie die Funken[a] aufwärts fliegen.
8 Aber doch würde ich Gott suchen
und meine Rede an ihn richten,
9 der große, unerforschliche Dinge tut,
Wunder ohne Zahl:
10 Er gießt Regen auf die Erde
und sendet Wasser über die Fluren;
11 er erhöht die Niedrigen und
die Leidtragenden erlangen das Heil;
12 er vereitelt die Anschläge der Listigen,
daß ihre Hand nicht helfen kann;
13 er fängt die Weisen in ihrer Klugheit,
und der Verschmitzten Rat überstürzt sich selbst;
14 bei Tage stoßen sie an wie im Dunkel
und tappen zu Mittag wie in der Nacht.
15 Aber den Armen errettet er vom Schwert und aus ihrem Maul
und den Bedürftigen aus der Hand des Starken,
16 daß der Geringe Hoffnung faßt
und die Frechheit ihr Maul verschließt.
17 Siehe, wohl dem Menschen, den Gott straft!
Darum verwirf die Züchtigung des Allmächtigen nicht!
18 Denn er verwundet und verbindet,
er zerschlägt und seine Hand heilt.
19 In sechs Trübsalen wird er dich erretten,
und in sieben wird dich kein Leid berühren:
20 In Hungersnot wird er dich vom Tode erlösen
und im Kriege von dem Schwert;
21 vor der Geißel der Zunge wirst du geborgen sein
und wirst Gewalttätigkeit nicht fürchten, wenn sie kommt;
22 der Verwüstung und Dürre wirst du lachen
und vor den wilden Tieren nicht erschrecken;
23 denn mit den Steinen des Feldes stehst du im Bunde,
und die Tiere des Feldes halten Frieden mit dir.
24 Du wirst erfahren, daß dein Zelt sicher ist,
und untersuchst du deine Wohnung, so fehlt dir nichts.
25 Du wirst erfahren, daß dein Same zahlreich wird
und deine Sprößlinge wie das Gras auf Erden.
26 Du wirst in gutem Alter begraben werden,
wie man Garben einbringt zu ihrer Zeit.
27 Siehe, das haben wir erforscht,
so ist es; vernimm es und merke es dir wohl!
Hiobs Unmut und Schmerz
6 Da antwortete Hiob und sprach:
2 O daß mein Unmut und mein Unglück gegeneinander abgewogen
und zugleich auf eine Waage gelegt würden!
3 Denn nun ist es schwerer als Meeressand;
darum sind meine Reden so verwirrt.
4 Denn die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir,
mein Geist saugt ihr Gift;
die Schrecken Gottes bestürmen mich.
5 Schreit auch ein Wildesel beim Gras,
brüllt auch ein Ochse, wenn er Futter hat?
6 Kann man auch Fades essen ohne Salz,
findet man am Eiweiß irgendwelchen Geschmack?
7 Was meine Seele zu berühren verschmähte,
das ist jetzt mein täglich Brot!
8 O daß doch käme, was ich wünsche,
und Gott meine Hoffnung erfüllte:
9 daß es doch Gott gefiele, mich zu zermalmen,
seine Hand auszustrecken und mich abzuschneiden!
10 So bliebe mir noch der Trost -
worüber ich frohlocken würde im schonungslosen Schmerz -,
daß ich von den Worten des Heiligen nicht abgefallen bin!
11 Wie groß ist denn meine Kraft, daß ich noch ausharren,
und wann kommt mein Ende, daß meine Seele sich gedulden soll?
12 Ist mir denn der Steine Kraft gegeben,
ist dies mein Fleisch etwa von Erz?
13 Bin ich denn nicht hilflos
und des Heils beraubt?
Hiob erhebt sich gegen die Zurechtweisungen seiner Freunde
14 Dem Verzagten soll sein Freund Mitleid erzeigen,
selbst wenn er von der Furcht des Allmächtigen lassen sollte.
15 Meine Brüder trügen wie ein Wildbach,
wie das Bett der Wildbäche, die überlaufen,
16 welche trübe werden vom Eis,
wenn der Schnee sich darin birgt,
17 die aber versiegen zur Zeit der Sommerglut
und von ihrem Ort verschwinden, wenn es heiß wird.
18 Es biegen ab von ihrem Wege die Karawanen,
ziehen in die Wüste und verirren sich;
19 es schauen sie die Karawanen Themas,
die Reisegesellschaften Sebas hoffen auf sie.
20 Aber sie werden in ihrer Hoffnung zuschanden;
wenn sie dorthin kommen, sind sie enttäuscht.
21 So seid auch ihr mir jetzt geworden;
ihr schauet Schreckliches und fürchtet euch davor! -
22 Habe ich gesagt: „Gebet mir etwas!“
oder „Bringt mir etwas von eurem Vermögen her;
23 rettet mich aus der Hand des Feindes
und erlöset mich von des Tyrannen Hand?“
24 Belehret mich, so will ich schweigen, weiset mir nach, wo ich gefehlt!
25 O wie eindringlich sind die Reden der Wahrheit!
Aber was bringen eure Zurechtweisungen zu-recht?
26 Gedenket ihr Worte zu bekritteln
und haltet die Reden eines Verzweifelten für Wind?
27 Ja, ihr werfet das Los über eine Waise
und verhandelt euren Freund!
28 Und nun seid doch so gefällig und schaut mich an,
ob ich euch ins Angesicht lügen werde!
29 Kehret um, tut nicht Unrecht!
Ja, kehret um! noch bin ich im Recht!
30 Ist denn Unrecht auf meiner Zunge,
oder unterscheidet mein Gaumen nicht, was verderblich ist?
Hiobs Leiden und Auflehnung
7 Hat der Mensch nicht Kriegsdienst auf Erden,
sind seine Tage nicht wie die eines Söldners?
2 Ein Knecht sehnt sich nach dem Schatten,
und ein Söldner verlangt nach seinem Lohn;
3 mir aber wurden Monate voll Enttäuschung beschert
und Nächte voller Qual zugezählt.
4 Wenn ich mich niederlege, so spreche ich: Wann werde ich aufstehen?
Aber der Abend dehnt sich lang, und vom Umherwälzen werde ich gar satt bis zur Morgendämmerung.
5 Mein Leib ist bekleidet mit Würmern und einer Kruste von Erde,
meine Haut zieht sich zusammen und eitert.
6 Meine Tage gleiten schneller dahin als ein Weberschifflein,
sie schwinden hoffnungslos dahin.
7 Bedenke[b], daß mein Leben ein Hauch ist,
daß mein Auge nichts Gutes mehr sehen wird;
8 das Auge, das mich schaut, wird mich nicht mehr sehen;
wenn du nach mir siehst, so bin ich nicht mehr!
9 Wie die Wolke vergeht und verschwindet,
so kommt, wer zum Totenreiche fährt, nicht mehr herauf;
10 er kehrt nicht mehr in sein Haus zurück,
und seine Stätte kennt ihn nicht mehr.
11 Darum will auch ich meinen Mund nicht halten;
ich will reden in der Angst meines Geistes,
in der Betrübnis meiner Seele will ich klagen:
12 Bin ich denn ein Meer oder ein Ungeheuer,
daß du eine Wache wider mich aufstellst?
13 Wenn ich denke: Mein Bett wird mich trösten,
mein Lager wird meine Klage erleichtern!
14 so erschreckst du mich mit Träumen
und ängstigst mich durch Gesichte,
15 so daß meine Seele Erwürgung vorzöge
und ich lieber tot wäre, als ein Gerippe zu sein.
16 Es ist mir verleidet! Ich will nicht ewig leben;
laß ab von mir; meine Tage sind ein Hauch!
17 Was ist der Mensch, daß du ihn so hochhältst
und auf ihn achtest?
18 Du suchst ihn alle Morgen heim,
und alle Augenblicke prüfst du ihn.
19 Warum schaust du nicht von mir weg
und lässest mir nicht soviel Ruhe, daß ich meinen Speichel schlucke?
20 Habe ich gesündigt, was kann ich dir antun, du Menschenhüter?
Warum hast du mich dir zur Zielscheibe gesetzt,
daß ich mir selbst zur Bürde bin?
21 Warum vergibst du meine Übertretung nicht
und erlässest mir nicht meine Schuld?
Denn jetzt werde ich mich in den Staub legen,
und wenn du mich morgen früh suchst, so bin ich nicht mehr!
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