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Die erste Rede des Eliphas

Da ergriff Eliphas, der Temaniter, das Wort und sprach:

Wenn man ein Wort an dich richtet, wird es dich verärgern? Aber Worte zurückhalten, wer könnte das?

Siehe, du hast viele unterwiesen und hast müde Hände gestärkt.

Deine Worte haben den Strauchelnden aufgerichtet, und wankende Knie hast du gekräftigt.

Nun aber, da es an dich kommt, bist du verzagt; weil es dich trifft, bist du bestürzt!

Ist nicht deine Gottesfurcht deine Zuversicht, und die Tadellosigkeit deines Weges deine Hoffnung?

Bedenke doch: Ist je ein Unschuldiger umgekommen, und wo wurden Rechtschaffene vertilgt?

Soviel ich gesehen habe: Die Unrecht pflügen und die Unheil säen, die ernten es auch.

Durch Gottes Odem kommen sie um; durch den Hauch seines Zornes werden sie verzehrt.

10 Das Brüllen des Löwen und die Stimme des Junglöwen [verstummt], und die Zähne der jungen Löwen werden ausgebrochen.

11 Der Löwe kommt um aus Mangel an Beute, und die Jungen der Löwin zerstreuen sich.

12 Zu mir aber kam heimlich ein Wort, mein Ohr vernahm ein leises Flüstern;

13 in Schreckgedanken, durch Nachtgesichte erregt, wenn tiefer Schlaf die Menschen befällt,

14 da kam Furcht und Zittern über mich und durchschauerte alle meine Gebeine;

15 denn ein Geist[a] ging an mir vorüber; die Haare meines Leibes standen mir zu Berge.

16 Er trat vor mich hin, und ich konnte sein Aussehen nicht erkennen; eine Gestalt war vor meinen Augen, ich hörte eine flüsternde Stimme[b]:

17 Kann wohl ein Sterblicher gerecht sein vor Gott, oder ein Mann rein vor seinem Schöpfer?

18 Siehe, seinen Dienern traut er nicht, seinen Engeln wirft er Irrtum vor;

19 wie viel mehr denen, die in Lehmhütten wohnen, die auf Staub gegründet sind, die wie Motten zerstört werden!

20 Zwischen Morgen und Abend gehen sie zugrunde; ehe man sich"s versieht, sind sie für immer dahin.

21 Wird nicht ihr Zeltstrick abgerissen? Sie sterben, ohne Weisheit erlangt zu haben.[c]

Eliphas ermahnt Hiob, die Züchtigung anzunehmen

Rufe doch! Ist einer da, der dir antwortet? Und an welchen von den Heiligen willst du dich wenden?

Denn den Narren bringt der Unmut um, und den Unverständigen tötet der Eifer.

Ich selbst habe einen Narren gesehen, der Wurzel schlug, und sogleich verfluchte ich seine Wohnung.

Seine Kinder fanden keine Hilfe, und sie wurden im Tor[d] zertreten, ohne dass es einen Retter gab;

seine Ernte verzehrte der Hungrige und holte sie ihm selbst aus den Dornhecken heraus, und sein Vermögen schnappten die Habgierigen weg.

Denn Unglück wächst nicht aus dem Staub hervor, und Unheil sprosst nicht aus der Erde;

sondern der Mensch ist zum Unglück geboren, wie die Funken nach oben fliegen.

Ich jedoch würde Gott[e] suchen und Gott[f] meine Sache darlegen,

der große, unerforschliche Dinge tut, Wunder, die nicht zu zählen sind:

10 Er gießt Regen auf die Erde und sendet Wasser über die Fluren;

11 er erhöht die Niedrigen, und die Leidtragenden erlangen das Heil;[g]

12 er vereitelt die Anschläge der Listigen, dass ihre Hand sie nicht ausführen kann;

13 er fängt die Weisen in ihrer List, und der Rat der Verschlagenen wird über den Haufen geworfen;

14 bei Tag stoßen sie auf Finsternis, und am Mittag tappen sie umher wie in der Nacht.

15 Aber er rettet den Elenden vom Schwert, aus ihrem Rachen und aus der Hand des Starken,

16 sodass der Geringe Hoffnung fasst und die Frechheit ihr Maul verschließt.

17 Siehe, wohl dem Menschen, den Gott zurechtweist! Darum verwirf die Züchtigung des Allmächtigen nicht!

18 Denn er verwundet und verbindet; er zerschlägt, und seine Hand heilt.

19 In sechs Bedrängnissen wird er dich erretten, und in sieben wird dich nichts Böses antasten:

20 In Hungersnot wird er dich vom Tod erlösen und im Krieg von der Gewalt des Schwertes;

21 vor der Geißel der Zunge wirst du geborgen sein und wirst die Verwüstung nicht fürchten, wenn sie kommt.

22 Über Verwüstung und Dürre wirst du lachen und vor den wilden Tieren der Erde nicht erschrecken,

23 denn mit den Steinen des Feldes stehst du im Bund, und das Wild des Feldes hält Frieden mit dir.

24 Du wirst erfahren, dass dein Zelt sicher[h] ist, und betrachtest du deine Wohnung, so fehlt dir nichts.

25 Du wirst erfahren, dass dein Same zahlreich wird und deine Sprösslinge wie das Gras auf Erden.

26 Du wirst in gutem Alter begraben werden, wie man Garben einbringt zu ihrer Zeit.

27 Siehe, das haben wir erforscht, so ist es; höre du darauf und merke es dir wohl!

Hiobs Unmut und Schmerz

Da antwortete Hiob und sprach:

O dass man meinen Unmut wiegen könnte und mein Unglück auf die andere Waagschale legte![i]

Denn nun ist es schwerer als der Sand der Meere; darum sind meine Worte so ungestüm.

Denn die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir, mein Geist trinkt ihr Gift; die Schrecken Gottes bestürmen mich.

Schreit auch ein Wildesel auf der Grasweide, oder brüllt ein Stier, wenn er Futter hat?

Lässt sich etwa Fades ohne Salz essen? Oder findet man am Eiweiß irgendwelchen Geschmack?

Was meine Seele zu berühren verschmähte, das ist jetzt mein tägliches Brot, mir zum Ekel!

O dass doch meine Bitte in Erfüllung ginge, und Gott mein Verlangen[j] gewährte:

dass doch Gott sich entschlösse, mich zu zermalmen, seine Hand ausstreckte, um mich abzuschneiden!

10 So bliebe mir noch der Trost — und ich frohlockte darüber im schonungslosen Schmerz —, dass ich die Worte des Heiligen nicht verleugnet[k] habe!

11 Wie groß ist denn meine Kraft, dass ich noch ausharren, und wann kommt mein Ende, dass meine Seele sich gedulden soll?

12 Ist mir denn die Kraft der Steine gegeben? Ist mein Fleisch denn aus Erz?

13 Bin ich denn nicht hilflos und jeder Stütze beraubt?[l]

Hiob wehrt sich gegen die Zurechtweisungen seiner Freunde

14 Dem Verzagten gebürt Mitleid von seinem Freund, sonst wird er die Furcht des Allmächtigen verlassen.

15 Meine Brüder haben sich trügerisch erwiesen wie ein Wildbach, wie das Bett der Wildbäche, die vergehen,[m]

16 die trübe werden vom Eis, wenn der Schnee sich darin birgt,

17 die aber versiegen zur Zeit der Sommerhitze und von ihrem Ort verschwinden, wenn es heiß wird.

18 Es winden sich die Pfade ihres Laufs; sie ziehen hinauf in die Öde und verlieren sich.

19 die Karawanen Temas halten Ausschau, die Reisegesellschaften von Saba hoffen auf sie.

20 Aber sie werden in ihrer Hoffnung betrogen; sie kommen dorthin und werden enttäuscht.

21 So seid auch ihr jetzt ein Nichts geworden; ihr seht Schreckliches und fürchtet euch davor!

22 Habe ich etwa gesagt: »Gebt mir etwas!«, oder »Macht mir ein Geschenk von eurem Vermögen!«,

23 oder »Rettet mich aus der Hand des Bedrängers und erlöst mich aus der Hand des Tyrannen!«?

24 Belehrt mich doch, und ich will schweigen, weist mir nach, worin ich geirrt habe!

25 Wie eindringlich sind Worte der Wahrheit! Aber was bringen eure Zurechtweisungen schon zurecht?

26 Gedenkt ihr Worte zu bekritteln und haltet die Reden eines Verzweifelten für Wind?

27 Ja, ihr würdet selbst über eine Waise das Los werfen und euren Freund verschachern!

28 Und nun tut mir den Gefallen und schaut mich an; ich werde euch doch wahrhaftig nicht ins Angesicht belügen!

29 Kehrt doch um, tut nicht Unrecht! Ja, kehrt um! Noch bin ich hier im Recht!

30 Ist denn Unrecht auf meiner Zunge, oder unterscheidet mein Gaumen nicht, was verderblich ist?

Hiobs Leiden und Auflehnung

Hat der Mensch nicht harten Frondienst[n] auf Erden; sind seine Tage nicht wie die eines Tagelöhners?

Wie einem Knecht, der sich nach dem Schatten sehnt, und wie einem Tagelöhner, der auf seinen Lohn harrt,

so wurden [auch] mir Monate voller Enttäuschung beschert und Nächte voller Qual zugeteilt.

Wenn ich mich niederlege, so spreche ich: Wann werde ich aufstehen? Aber der Abend zieht sich hin, und ich bin gesättigt mit Unrast bis zur Morgendämmerung.

Mein Fleisch ist bekleidet mit Maden und Schorf; meine Haut verkrustet und eitert.

Meine Tage gleiten schneller dahin als ein Weberschiffchen; sie entschwinden ohne Hoffnung.

Bedenke doch, dass mein Leben [nur] ein Hauch ist, dass mein Auge nichts Gutes mehr sehen wird!

Das Auge dessen, der mich [jetzt] erblickt, wird mich nicht mehr sehen; wenn deine Augen [nach mir sehen], so bin ich nicht mehr!

Wie die Wolke vergeht und verschwindet, so kommt, wer ins Totenreich fährt, nicht mehr herauf;

10 er kehrt nicht mehr in sein Haus zurück, und seine Stätte kennt ihn nicht mehr.

11 Darum will auch ich meinen Mund nicht zurückhalten; ich will reden in der Bedrängnis meines Geistes, in der Verbitterung meiner Seele will ich klagen:

12 Bin ich denn das Meer oder ein Ungeheuer, dass du eine Wache gegen mich aufstellst?

13 Wenn ich denke: Mein Bett wird mich trösten, mein Lager wird meine Klage erleichtern!,

14 so erschreckst du mich mit Träumen und ängstigst mich durch Gesichte,

15 sodass meine Seele lieber ersticken möchte und ich lieber tot wäre, als ein Gerippe zu sein.

16 Ich habe genug! Ich will nicht ewig leben;[o] lass ab von mir; meine Tage sind [nur] ein Hauch!

17 Was ist der Mensch[p], dass du ihn so hochhältst und dass du auf ihn achtest[q]?

18 Du suchst ihn Morgen für Morgen heim; alle Augenblicke prüfst du ihn.

19 Warum schaust du immer noch nicht von mir weg und lässt mir nicht einmal so viel Ruhe, dass ich meinen Speichel herunterschlucken kann?

20 Habe ich gesündigt? Was tue ich dir an, du Menschenhüter? Warum hast du mich zu deiner Zielscheibe gemacht, sodass ich mir selbst zur Last bin?

21 Warum vergibst du meine Übertretung nicht und erlässt mir nicht meine Schuld?[r] Denn jetzt muss ich mich in den Staub legen, und wenn du nach mir suchst, so bin ich nicht mehr!

Die erste Rede des Bildad

Da antwortete Bildad, der Schuchiter, und sprach:

Wie lange willst du solche Reden führen, [wie lange] sollen die Worte deines Mundes wie heftiger Wind sein?

Beugt denn Gott das Recht, oder verkehrt der Allmächtige die Gerechtigkeit?

Wenn deine Kinder gegen ihn gesündigt haben, so hat er sie dahingegeben in die Gewalt[s] ihrer Missetat.

Bist du es aber, so suche Gott ernstlich und flehe um Gnade zu dem Allmächtigen!

Wenn du lauter und aufrichtig bist, so wird er sich um deinetwillen aufmachen und dein gerechtes Heim wiederherstellen.

Da wird dein früheres Glück im Vergleich zu deinem späteren klein sein![t]

Denn frage doch das frühere Geschlecht und beherzige das, was ihre Väter erforscht haben!

Denn von gestern sind wir und wissen nichts; ein Schatten nur sind unsere Tage auf Erden.

10 Sind sie es nicht, die dich belehren, es dir sagen und Sprüche hervorholen aus ihrem Herzen?[u]

11 Schießt der Papyrus ohne Sumpf empor, oder gedeiht das Riedgras ohne Wasser?

12 Noch steht es in vollem Trieb, ist nicht zum Schneiden reif — da verdorrt es schon vor allem anderen Gras.

13 Das ist der Weg all derer, die Gott vergessen; ja, die Hoffnung des Ruchlosen geht zugrunde!

14 Seine Zuversicht wird abgeschnitten, und sein Vertrauen ist ein Spinngewebe.

15 Er stützt sich auf sein Haus, aber es hält nicht stand; er hält sich daran fest, aber es bleibt nicht stehen.

16 Er steht voll Saft im Sonnenschein, und seine Ranken überziehen seinen Garten;

17 über Steinhaufen schlingen sich seine Wurzeln, auf ein Haus von Steinen schaut er hin.

18 Doch wenn man ihn von seiner Stätte wegreißt, so verleugnet sie ihn: »Ich habe dich nie gesehen!«

19 Siehe, das ist die Freude seines Weges, und aus dem Staub werden andere wachsen.

20 Siehe, Gott verwirft den Unschuldigen nicht, und er reicht auch keinem Übeltäter die Hand;

21 während er deinen Mund mit Lachen füllen wird und deine Lippen mit Freudengeschrei,

22 werden deine Hasser mit Schande bekleidet werden, und das Zelt der Gottlosen wird nicht mehr sein!

Hiobs Antwort auf Bildad: Er anerkennt Gottes Allmacht

Da antwortete Hiob und sprach:

Wahrhaftig, ich weiß, dass es sich so verhält; und wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott?

Wenn er mit Ihm rechten wollte, so könnte er Ihm auf tausend nicht eins antworten.

Er hat ein weises Herz und ist von ungebrochener Kraft; wer hat ihm je getrotzt und ist heil davongekommen?

Er versetzt Berge, und man merkt es nicht; er, der sie umkehrt in seinem Zorn.

Er stört die Erde auf von ihrem Ort, sodass ihre Säulen erzittern.

Er gebietet der Sonne, und sie geht nicht auf; er verschließt die Sterne mit einem Siegel[v].

Er allein spannt den Himmel aus und schreitet auf Meereswogen einher.

Er machte den Großen Bären, den Orion und das Siebengestirn, samt den Kammern des Südens.

10 Er tut große Dinge, die unerforschlich sind, und Wunderwerke ohne Zahl.

11 Siehe, er geht an mir vorüber, und ich sehe ihn nicht; er zieht vorbei, und ich bemerke ihn nicht.

12 Siehe, wenn er dahinrafft, wer kann ihn hindern? Wer kann ihm zurufen: Was machst du da?

13 Gott lässt von seinem Zorn nicht ab; selbst Rahabs Helfer[w] müssen sich unter ihn beugen.

14 Wie viel weniger könnte ich ihm da antworten, und Worte finden, um mit ihm zu reden!

15 Auch wenn ich im Recht wäre, könnte ich ihm nichts erwidern, sondern müsste meinen Richter um Gnade anflehen.

16 Wenn ich rufe, wird er mir antworten? Ich glaube nicht, dass er auf meine Stimme hört;

17 denn im Sturm zermalmt er mich und fügt mir ohne Ursache viele Wunden zu.

18 Er lässt mich nicht einmal Atem holen, sondern sättigt mich mit bitteren Leiden.

19 Kommt"s auf die Kraft des Starken an, siehe, er hat sie, und wenn aufs Recht, wer lädt mich vor?

20 Wenn ich mich auch rechtfertige, so wird mich doch mein Mund verurteilen, und bin ich auch untadelig, so wird er mich doch für verkehrt erklären.

Hiob bezichtigt Gott der Ungerechtigkeit

21 Ich bin untadelig, dennoch kümmert mich meine Seele nicht; ich verachte mein Leben.

22 Darum sage ich: Es ist einerlei; Untadelige und Gottlose bringt er gleicherweise um!

23 Wenn die Geißel plötzlich tötet, so lacht er über die Prüfung der Unschuldigen.

24 Die Erde ist in die Gewalt des Frevlers gegeben; das Angesicht ihrer Richter verhüllt Er; wenn nicht Er, wer dann?

25 Und meine Tage sind schneller dahingeeilt als ein Läufer; sie sind entflohen und haben nichts Gutes gesehen;

26 sie sind vorbeigezogen wie Rohrschiffe, wie ein Adler, der sich auf Beute stürzt.

27 Wenn ich denke: »Ich will meine Klage vergessen, meine Miene ändern und heiter dreinschauen!«,

28 so muss ich meine vielen Schmerzen fürchten; denn ich weiß, dass du mich nicht freisprechen wirst!

29 Soll ich denn schuldig sein, was mühe ich mich vergeblich ab?

30 Wenn ich mich auch mit Schnee waschen würde und meine Hände mit Lauge reinigte,

31 so würdest du mich doch in die Grube tauchen, sodass sich meine eigenen Kleider vor mir ekelten!

32 Denn Er ist nicht ein Mann wie ich, dass ich Ihm antworten dürfte, dass wir miteinander vor Gericht gehen könnten;

33 es gibt auch keinen Mittler[x] zwischen uns, der seine Hand auf uns beide legen könnte.

34 Er nehme aber seine Rute von mir, und sein Schrecken ängstige mich nicht mehr,

35 so wollte ich reden und keine Angst vor Ihm haben — aber so ist es bei mir nicht.

Hiob fühlt sich von Gott grundlos bedrängt

10 Meine Seele ekelt’s vor meinem Leben; ich will mich meiner Klage überlassen, will reden in der Betrübnis meiner Seele.

Ich spreche zu Gott: Verdamme mich nicht! Lass mich wissen, weshalb du mich befehdest!

Gefällt es dir wohl, dass du bedrückst, dass du das Werk deiner Hände verwirfst, während du über den Rat der Gottlosen dein Licht leuchten lässt?

Hast du Fleischesaugen, oder siehst du, wie ein Mensch sieht?

Sind denn deine Tage wie Menschentage, deine Jahre den Jahren eines Mannes gleich,

dass du nach meiner Schuld forschst und nach meiner Sünde fragst,

obwohl du doch weißt, dass ich unschuldig bin, und mich niemand aus deiner Hand erretten kann?

Deine Hände haben mich als Ganzes gebildet und rundum gestaltet, und nun verschlingst du mich?

Gedenke doch, dass du mich wie Ton gebildet hast; und nun willst du mich wieder in Staub verwandeln!

10 Hast du mich nicht wie Milch hingegossen und wie Käse mich gerinnen lassen,

11 mit Haut und Fleisch mich bekleidet, mit Gebeinen und Sehnen mich durchwoben?

12 Leben und Gnade hast du mir gewährt, und deine Fürsorge bewahrte meinen Geist.

13 Doch dieses verbargst du in deinem Herzen; ich weiß, dass es bei dir so beschlossen war:

14 Wenn ich sündigte, so würdest du darauf achten und mich nicht freisprechen von meiner Missetat.

15 Habe ich Böses getan, dann wehe mir! Und bin ich im Recht, so darf ich mein Haupt doch nicht erheben; ich bin ja gesättigt mit Schande und muss mein Elend ansehen!

16 Wagt [mein Haupt] es aber, sich zu erheben, so verfolgst du mich wie ein Löwe und handelst noch unbegreiflicher mit mir.

17 Du stellst neue Zeugen gegen mich auf und mehrst deinen Zorn gegen mich; du bietest stets frische Scharen, ja ein Heer gegen mich auf!

18 Warum hast du mich aus dem Mutterleib hervorgebracht? Wäre ich doch dabei umgekommen, ohne dass mich ein Auge gesehen hätte!

19 So würde ich sein, als wäre ich niemals gewesen, vom Mutterleib weg ins Grab gelegt.

20 Ist meine Lebenszeit nicht kurz genug? Er höre doch auf, lasse ab von mir, dass ich mich ein wenig erhole,

21 ehe ich dahinfahre auf Nimmerwiederkehren in das Land der Düsternis und des Todesschattens,

22 in das Land, das schwarz ist wie die Finsternis, [das Land] des Todesschattens, wo keine Ordnung herrscht, wo das Licht wie tiefe Finsternis ist!

Die erste Rede des Zophar

11 Da antwortete Zophar, der Naamatiter, und sprach:

Soll die Menge der Worte unbeantwortet bleiben und der Schwätzer recht behalten?

Soll dein Geschwätz Männern den Mund stopfen, dass du spottest und niemand dich beschämt?

Und du hast gesagt: »Meine Lehre ist lauter, und ich bin vor deinen Augen rein!«

O dass doch Gott reden möchte und seine Lippen auftäte gegen dich!

Und dass er dir doch die Geheimnisse der Weisheit verkündete — denn es gibt noch doppelt so viele wie du weißt —, so würdest du erkennen, dass Gott dir noch nachlässt von deiner Schuld!

Kannst du die Tiefe[y] Gottes ergründen oder zur Vollkommenheit des Allmächtigen gelangen?

Sie ist himmelhoch — was willst du tun? tiefer als das Totenreich — was kannst du wissen?

Ihre Ausdehnung ist größer als die Erde und breiter als das Meer.

10 Wenn Er einherfährt, kann er verhaften und vor Gericht stellen — wer will es ihm wehren?

11 Denn er kennt die nichtswürdigen Leute und sieht auch die Schuld, ohne dass er [darauf] achthaben muss.

12 Kann ein Hohlkopf Verstand gewinnen, und ein Eselhengst als Mensch geboren werden?

13 Wenn du nun dein Herz fest ausrichtest und zu ihm deine Hände ausstreckst

14 — wenn Unrecht an deinen Händen ist, so entferne es, und lass in deinen Zelten nichts Böses wohnen!

15 Ja, dann darfst du ohne Scheu dein Angesicht erheben und fest auftreten ohne Furcht;

16 dann wirst du deine Mühsal vergessen, wie man das Wasser vergisst, das vorübergeflossen ist.

17 Heller als der Mittag wird dein Leben dir aufgehen; das Dunkel wird wie der Morgen sein.

18 Dann wirst du getrost sein, weil es Hoffnung gibt, und wirst um dich blicken und in Sicherheit dich niederlegen.

19 Du legst dich zur Ruhe, und niemand schreckt dich auf, und viele werden dann deine Gunst suchen.

20 Aber die Augen der Gottlosen verschmachten, [ihre] Zuflucht geht ihnen verloren, und ihre Hoffnung ist das Aushauchen der Seele!

Hiobs Antwort auf Zophar

12 Und Hiob antwortete und sprach:

Wahrlich, ihr seid die [rechten] Leute, und mit euch wird die Weisheit aussterben!

Auch ich habe Verstand wie ihr und stehe nicht hinter euch zurück; wer wüsste denn diese Dinge nicht?

Ich bin wie einer, der zum Gespött für seine Freunde wird; dabei rief ich [einst] zu Gott und wurde von ihm erhört! Der untadelige Gerechte wird zum Gespött!

»Dem Unglück gebührt Verachtung!«, so meint der Sichere; ja, einen Stoß noch für die, deren Fuß wankt!

Die Zelte der Räuber haben Ruhe, und in Sicherheit leben die, welche Gott reizen, diejenigen, die Gott in ihrer Faust führen.

Aber frage doch das Vieh, und es wird dich belehren, oder die Vögel des Himmels, und sie werden dir"s verkünden,

oder rede mit der Erde, und sie wird dich unterweisen, und die Fische im Meer erzählen es dir.

Wer unter allen diesen wüsste nicht, dass die Hand des Herrn dies gemacht hat,

10 dass in seiner Hand die Seele alles Lebendigen ist und der Geist jedes menschlichen Fleisches?

11 Prüft nicht das Ohr die Worte, wie der Gaumen die Speise schmeckt?

12 Wohnt bei den Greisen die Weisheit und bei den Betagten der Verstand?

Hiob bezeugt die Macht Gottes

13 Bei Ihm ist Weisheit und Stärke, Sein ist Rat und Verstand!

14 Siehe, wenn Er niederreißt, wird nicht wieder aufgebaut; wenn er über dem Menschen zuschließt, wird nicht wieder geöffnet.

15 Siehe, wenn er die Gewässer zurückhält, so vertrocknen sie; lässt er sie los, so verwüsten sie das Land.

16 Bei ihm ist Macht und Verstand; ihm gehört, wer irregeht und wer irreführt.

17 Er führt die Ratgeber beraubt hinweg und macht Richter zu Narren.

18 Die Herrschaft der Könige löst er auf und schlingt eine Fessel um ihre Lenden.

19 Er führt die Priester beraubt hinweg und stürzt die Festgegründeten um.

20 Er nimmt den Wohlbewährten die Sprache weg und raubt den Alten die Urteilskraft.

21 Er schüttet Verachtung über die Edlen und löst den Gürtel der Starken.

22 Er enthüllt, was im Finstern verborgen liegt, und zieht den Todesschatten ans Licht.

23 Er macht Völker groß, und er vernichtet sie; er breitet die Völker weit aus, und er führt sie weg.

24 Den Häuptern des Volkes im Land nimmt er den Verstand und lässt sie irren in pfadloser Wüste;

25 sie tappen in Finsternis ohne Licht; er lässt sie taumeln wie Betrunkene.

Hiob will sich vor Gott rechtfertigen und verteidigen

13 Siehe, dies alles hat mein Auge gesehen, mein Ohr hat’s gehört und sich gemerkt;

was ihr wisst, weiß auch ich; ich stehe nicht hinter euch zurück.

Ich aber will nun zu dem Allmächtigen reden; mit Gott zu rechten[z] begehre ich.

Ihr hingegen streicht ja nur Lügenpflaster und seid nichts als Quacksalber[aa], ihr alle!

O dass ihr doch schweigen könntet; das würde euch als Weisheit angerechnet!

So hört nun meine Rechtfertigung, und achtet auf die Verteidigung meiner Lippen!

Wollt ihr Gott zuliebe Unrechtes reden und zu seinen Gunsten lügen?

Wollt ihr seine Partei ergreifen oder Gottes Anwalt spielen?

Wäre es gut [für euch], wenn er euch erforschte? Könnt ihr ihn täuschen, wie man Menschen täuscht?

10 Nein, strafen wird er euch, wenn ihr im Geheimen die Person anseht!

11 Wird nicht seine Majestät euch in Furcht versetzen und Schrecken vor ihm euch überfallen?

12 Eure Denksprüche sind Sprüche aus Asche, und eure Schutzwehren sind Schutzwehren aus Lehm.

13 Schweigt vor mir und lasst mich reden; es komme über mich, was will!

14 Warum sollte ich mein Fleisch in meine Zähne nehmen und mein Leben in meine Hand legen?

15 Siehe, er soll mich töten — ich will auf ihn warten; nur will ich meine Wege ihm ins Angesicht verteidigen!

16 Auch das schon wird mir zur Rettung dienen; denn kein Gottloser kommt vor sein Angesicht.

17 Hört doch, hört auf meine Rede, und meine Erklärung dringe in eure Ohren!

18 Gebt acht, ich habe die Verteidigung vorgebracht; ich weiß, dass ich Recht bekommen werde.

19 Wer ist es, der noch mit mir rechten will? Denn dann wollte ich verstummen und sterben.

20 Nur zweierlei tue mir nicht an, dann will ich mich vor deinem Angesicht nicht verbergen:

21 Tue deine Hand von mir und ängstige mich nicht mit deinem Schrecken!

22 Dann rufe du, und ich will antworten, oder ich will reden, und du erwidere mir!

23 Wie viele Sünden und Vergehen habe ich? Lass mich meine Übertretungen und Missetaten wissen!

24 Warum verbirgst du dein Angesicht und hältst mich für deinen Feind?

25 Verscheuchst du ein verwehtes Blatt und verfolgst einen dürren Halm?

26 Denn du verschreibst mir Bitteres und lässt mich erben die Sünden meiner Jugend;

27 du legst meine Füße in den Stock[ab] und lauerst auf alle meine Schritte und zeichnest dir meine Fußspuren auf,

Footnotes

  1. (4,15) od. Hauch.
  2. (4,16) w. ein Säuseln und eine Stimme.
  3. (4,21) Schlachter übersetzte: und zwar nicht an Weisheit.
  4. (5,4) Das Tor einer Stadt war der Ort der Rechtssprechung.
  5. (5,8) hebr. El.
  6. (5,8) hebr. Elohim.
  7. (5,11) od. und die Trauernden steigen zum Glück empor.
  8. (5,24) w. in Friede / Wohlergehen.
  9. (6,2) w. und mein Unglück damit zusammen auf die Waage legte.
  10. (6,8) w. meine Hoffnung.
  11. (6,10) w. verborgen.
  12. (6,13) w. Ist es nicht so, dass keine Hilfe in mir ist und mir jede Stütze entrissen wurde?
  13. (6,15) Gemeint sind die im Nahen Osten häufigen Wadis, die im Winter reißende Wildbäche bilden, im Sommer aber austrocknen.
  14. (7,1) d.h. angeordneten, erzwungenen Dienst, auch Kriegsdienst.
  15. (7,16) Andere Übersetzung: Ich werde doch nicht ewig leben.
  16. (7,17) hebr. enosch: der sterbliche, hinfällige Mensch.
  17. (7,17) w. dein Herz auf ihn richtest.
  18. (7,21) w. lässt meine Schuld nicht vorübergehen.
  19. (8,4) w. in die Hand.
  20. (8,7) w. Und dein Anfang wird gering sein, aber dein Ende wird er sehr groß machen.
  21. (8,10) In der alten Schlachter-Bibel sind die folgenden Verse sehr frei in Reimen wiedergegeben: »11 Schießt der Papyrus ohne Sumpf empor, gedeiht, wo Wasser fehlt, des Schilfes Rohr, 12 das doch, wenn es noch in vollem Triebe steht, ehe es geschnitten wird, zugrunde geht? 13 Das ist der Weg, den alle Gottvergessenen ziehn: Auch ihre Hoffnung welkt wie Gras dahin! 14 Ein Spinngewebe ist des Frevlers Haus, mit seinem Trotzen ist es plötzlich aus; 15 vergeblich stützt er sich und trotzt darauf; er fällt dahin und steht nicht wieder auf. 16 Und jener dort, er grünt im Sonnenglanz, die Ranken überziehen den Garten ganz; 17 die Wurzeln flechten ins Gemäuer sich ein, hoch schlingt er sich empor am Haus von Stein. 18 Doch tilgt ihn Gott von seiner Stätte, so spricht sie: Mir ist nicht bewusst, dass ich dich je gesehen hätte! 19 Siehe, das ist seines Weges Lust, [das Ende von des Sünders Lebenslauf:] Es stehn aus seinem Staube andre auf«.
  22. (9,7) d.h. verdunkelt sie.
  23. (9,13) Das Seeungeheuer Rahab steht an anderen Stellen symbolisch für das Land Ägypten.
  24. (9,33) od. Schiedsmann (vgl. 1Tim 2,5).
  25. (11,7) od. das Wesen.
  26. (13,3) Andere Übersetzung: vor Gott mich zu rechtfertigen …
  27. (13,4) od. wertlose Ärzte.
  28. (13,27) d.h. in ein Holzgestell, in dem Hände und Füße eingeschlossen werden konnten.

Elifas: Kann ein Mensch gerechter sein als Gott?

Elifas aus Teman versuchte als Erster, Hiob eine Antwort zu geben.

»Du bist zwar aufgebracht«, sagte er,
»doch will ich versuchen, dir etwas zu sagen;
ich kann nicht länger schweigen!
Du selbst hast zahllose Menschen gelehrt,
auf Gott zu vertrauen.
Kraftlose Hände hast du wieder gestärkt.
War jemand mutlos und ohne Halt,
du hast ihn wieder aufgerichtet
und ihm neuen Lebensmut gegeben.
Jetzt aber, wo du selbst an der Reihe bist,
verlierst du die Fassung.
Kaum bricht das Unglück über dich herein,
bist du entsetzt!
Dabei hast du allen Grund zur Hoffnung!
Dein Leben war stets tadellos,
und Gott hast du von Herzen geehrt.
Sei zuversichtlich!
Kannst du mir nur ein Beispiel nennen,
wo ein gerechter Mensch schuldlos zugrunde ging?
Im Gegenteil – immer wieder habe ich gesehen:
Wer Unrecht sät, wird Unglück ernten!
Denn Gott fegt Übeltäter mit seinem Atem hinweg,
mit zornigem Schnauben richtet er sie zugrunde.
10 Wenn sie auch wie die Löwen brüllen,
bringt Gott sie doch zum Schweigen
und bricht ihnen die Zähne aus.
11 Sie verenden wie Löwen,
die keine Beute mehr finden,
und ihre Kinder werden in alle Winde zerstreut.
12 Hiob, heimlich habe ich eine Botschaft bekommen,
leise wurde sie mir zugeflüstert!
13 Es geschah in jener Zeit der Nacht,
wenn man sich unruhig im Traum hin- und herwälzt,
wenn tiefer Schlaf die Menschen überfällt:
14 Da packten mich Grauen und Entsetzen;
ich zitterte am ganzen Leib.
15 Ein Windhauch wehte dicht an mir vorüber –
die Haare standen mir zu Berge!
16 Dann sah ich jemanden neben mir,
aber ich konnte ihn nicht erkennen,
nur ein Schatten war zu sehen; er flüsterte:
17 ›Kann denn ein Mensch gerecht sein vor Gott,
vollkommen vor seinem Schöpfer?‹
18 Selbst seinen Dienern im Himmel vertraut Gott nicht,
und an seinen Engeln findet er Fehler.
19 Wie viel weniger vertraut er dann den Menschen!
Sie hausen in Lehmhütten,
die im Staub auf der Erde stehen,
und werden wie eine Motte zertreten.
20 Mitten aus dem Leben werden sie gerissen,
unwiederbringlich, und keiner beachtet es!
21 Ja, Gott bricht ihre Zelte ab;
sie sterben plötzlich
und sind kein bisschen weise geworden!«

Unterwirf dich Gott!

»Klag nur, Hiob!
Aber meinst du, dich hört jemand?
An welchen Engel willst du dich denn wenden?
Wer sich Gott in blinder Wut entgegenstellt
und in seiner Dummheit aufbegehrt, der bringt sich um!
Ich sah solche Leute in Glück und Frieden leben,
dann aber verfluchte ich ihr Hab und Gut.
Ohne jede Hilfe standen ihre Kinder da;
niemand verteidigte sie,
als sie vor Gericht verurteilt wurden.
Über die Ernte dieser Narren machten sich die Hungrigen her –
selbst aus den Dornenhecken rissen sie die Halme heraus
und stürzten sich gierig auf all ihren Reichtum.
Unheil wächst nicht auf dem Acker,
und Mühsal schießt nicht aus der Erde empor.
Nein, von Geburt an gehört zum Menschsein die Mühe,
so wie zum Feuer die Funken gehören.
Ich an deiner Stelle würde mich an Gott wenden
und ihm meinen Rechtsfall vortragen.
Was Gott tut, ist groß und gewaltig,
niemand kann es begreifen;
seine Wunder sind unzählbar.
10 Er lässt Regen fallen,
und die Felder werden reich getränkt.
11 Wer klein und unbedeutend ist, den macht er groß;
die Trauernden können sich wieder freuen,
weil er sie rettet.
12 Die Pläne verschlagener Menschen vereitelt er,
so dass ihnen gar nichts gelingt.
13 Er fängt die Klugen mit ihrer eigenen Klugheit,
und ihre Machenschaften durchkreuzt er.
14 Am helllichten Tage tappen sie umher,
als wäre es stockdunkle Nacht.
15 Gott hilft dem Armen aus der Gewalt der Mächtigen
und schützt ihn vor ihren erbarmungslosen Worten.
16 Er gibt den Armen wieder Hoffnung
und bringt die Ungerechtigkeit zum Schweigen.
17 Glücklich ist der Mensch, den Gott zurechtweist!
Der Allmächtige will dich erziehen!
Sträube dich nicht!
18 Er schlägt dich zwar, doch er heilt auch wieder;
er verbindet alle Wunden, die er dir zufügt.
19 Bricht ein Unglück herein, so wird er dich retten;
jedes Mal bleibst du vom Untergang verschont.
20 In der Hungersnot erhält er dich am Leben,
und im Krieg bewahrt er dich vor gewaltsamem Tod.
21 Er beschützt dich vor übler Nachrede,
die wie Peitschenhiebe verletzt.
Du musst nicht befürchten,
dass dein Besitz verwüstet wird.
22 Verderben und Hungersnot lachst du aus,
und vor den wilden Tieren hast du keine Angst.
23 Steine werden den Ertrag deines Ackers nicht mindern,[a]
und die Raubtiere werden dich nicht angreifen.
24 In Ruhe und Frieden kannst du in deinem Haus leben,
und schaust du nach deinem Hab und Gut, so fehlt nichts.
25 Kinder und Enkel wirst du sehen,
so zahlreich wie die Blumen auf dem Feld.
26 Du bleibst rüstig bis ins hohe Alter,
und wenn du einst begraben wirst, gleichst du dem Korn,
das erst in voller Reife geerntet wird.

27 Das alles haben wir erforscht.
Du kannst uns glauben, es ist wahr!
Nun richte dich danach!«

Hiob: Mein Schmerz ist unerträglich!

Da antwortete Hiob:

»Ach, könnte mein Schmerz doch gewogen werden!
Legte man doch mein Elend auf die Waage!
Es wiegt schwerer als der Sand am Meer,
und deshalb sind meine Worte so unbeherrscht.
Der Allmächtige hat mich mit seinen Pfeilen durchbohrt,
tief dringt ihr Gift in mich ein[b].
Gott hat mich mit seinen Schrecken eingekesselt.
Kein Wildesel schreit, wenn er Gras hat;
an der vollen Futterkrippe brüllt kein Stier.
Doch welcher Mensch mag ungesalzene Speise,
wer schlürft schon gerne rohes Eiweiß?
Ich sträube mich, es anzurühren,
denn solche Nahrung macht mich krank!

Warum schlägt Gott mir meine Bitte ab
und gibt mir nicht, was ich so sehnlich wünsche?
Ich wünsche mir nur eins:
dass er mich zermalmt und mir das Lebenslicht ausbläst!
10 Denn einen Trost hätte ich auch dann noch,
Grund zum Jubeln trotz schrecklicher Schmerzen:
Was der heilige Gott geboten hat,
daran habe ich mich immer gehalten!
11 Aber meine Kraft reicht nicht aus,
um noch länger zu hoffen!
Auf welches gute Ende soll ich geduldig warten?
12 Bin ich denn hart und unverwundbar wie ein Stein?
Ist mein Körper kraftvoll, wie aus Erz gegossen?
13 Ich bin völlig hilflos
und weiß nicht mehr aus noch ein!

14 Wer so verzweifelt ist wie ich,
braucht Freunde, die fest zu ihm halten,
selbst wenn er Gott nicht mehr glaubt.[c]
15 Ihr aber enttäuscht mich
wie die Flüsse in der Wüste,
deren Bett vertrocknet, sobald kein Regen mehr fällt.
16 Im Frühjahr treten sie über die Ufer,
trübe vom Schmelzwasser, in dem Eisschollen treiben.
17 Aber wenn es heiß wird,
versiegen sie und versickern im Boden.
18 Karawanen müssen vom Weg abweichen,
weil sie dort kein Wasser finden.
Sie steigen hinauf in die Wüste und gehen elend zugrunde.
19 Die Karawanen von Tema spähen nach den Wasserstellen,
die Händler von Saba sind auf sie angewiesen,
20 doch ihre Hoffnung wird bitter enttäuscht:
Sie kommen dorthin – das Flussbett ist leer!
21 Und ihr? Ihr seid genau wie diese Flüsse:
trostlos und leer. Ihr helft mir nicht!
Ihr seht mein furchtbares Schicksal
und weicht entsetzt zurück!
22 Wieso denn? Habe ich euch je gesagt: ›Schenkt mir etwas,
zahlt ein Bestechungsgeld für mich aus euren Taschen
23 und rettet mich vor dem Erpresser,
aus seinen Klauen kauft mich frei‹?
24 Gebt mir eine klare Antwort
und weist mir nach, wo ich im Irrtum bin,
dann will ich gerne schweigen!
25 Nur wer die Wahrheit sagt, überzeugt mich –
eure Vorwürfe beweisen nichts!
26 Wollt ihr meine Worte tadeln,
weil sie so verzweifelt klingen?
Was ich sage, verhallt ungehört im Wind!
27 Ihr würdet selbst ein Waisenkind verkaufen
und euren besten Freund verhökern!
28 Bitte, seht mich an!
So wahr ich hier sitze:
Ich sage euch die volle Wahrheit!
29 Ihr tut mir Unrecht!
Hört endlich auf damit,
denn immer noch bin ich im Recht!
30 Rede ich vermessen? Nie und nimmer!
Ich kann doch Recht und Unrecht unterscheiden!«

Gott, warum lässt du mich nicht in Ruhe?

»Das Leben der Menschen gleicht der Zwangsarbeit,
von früh bis spät müssen sie sich abmühen!
Ein Landarbeiter sehnt sich
nach dem kühlen Schatten am Abend;
er wartet darauf, dass ihm sein Lohn bezahlt wird.
Und was ist mein Lohn?
Monate, die sinnlos dahinfliegen,
und kummervolle Nächte!
Wenn ich mich schlafen lege,
denke ich: ›Wann kann ich endlich wieder aufstehen?‹
Die Nacht zieht sich in die Länge,
ich wälze mich schlaflos hin und her bis zum Morgen.
Mein Körper ist von Würmern
und von dreckigem Schorf bedeckt.
Meine Haut platzt auf und eitert.
Schneller als ein Weberschiffchen sausen meine Tage dahin,
sie schwinden ohne jede Hoffnung.
O Gott, bedenke, dass mein Leben nur ein Hauch ist!
Mein Glück ist dahin; es kommt nie wieder.
Noch siehst du mich, doch nicht mehr lange,
und wenn du mich dann suchst, bin ich nicht mehr da.
9-10 Wie eine Wolke, die vorüberzieht,
so ist ein Mensch, der stirbt:
Vom Ort der Toten kehrt er nie zurück;
dort, wo er einmal wohnte, ist er bald vergessen.

11 Nein – ich kann nicht schweigen!
Der Schmerz wühlt in meinem Innern.
Ich lasse meinen Worten freien Lauf,
ich rede aus bitterem Herzen.
12 O Gott, warum lässt du mich so scharf bewachen?
Bin ich denn das Meer oder ein Meeresungeheuer?
13-14 Wenn ich dachte: ›Ich will im Schlaf Ruhe finden
und mein Elend vergessen‹,
dann hast du mich bis in die Träume verfolgt
und mir durch Visionen Angst eingejagt.
15 Am liebsten würde ich erhängt!
Lieber sterben als noch länger in diesem elenden Körper leben!
16 Ich gebe auf! So will ich nicht mehr weiterleben!
Lass mich in Ruhe, denn mein Leben hat keinen Sinn mehr!
17 Gott, warum nimmst du einen Menschen so ernst?
Warum beachtest du ihn überhaupt?
18 Jeden Morgen verlangst du Rechenschaft von ihm;
du beobachtest ihn jeden Augenblick.
19 Wie lange schaust du mich noch prüfend an?
Du lässt mich keinen Augenblick in Ruhe![d]
20 Du Menschenwächter – hat dich meine Sünde denn verletzt?
Warum machst du mich zu deiner Zielscheibe?
Bin ich dir zur Last geworden?
21 Warum vergibst du mir mein Unrecht nicht?
Kannst du keine Sünde übersehen?
Denn bald liege ich unter der Erde,
und wenn du mich dann suchst, bin ich nicht mehr da.«

Bildad: Wer Gott die Treue bricht, hat keine Hoffnung mehr!

Da entgegnete Bildad aus Schuach:

»Wie lange willst du noch so weiterreden?
Wann hörst du auf, hier so viel Wirbel zu machen? Es sind doch nur leere Worte!
Verdreht Gott, der Allmächtige, etwa das Recht?
Meinst du, dass er sein Urteil jemals widerruft?
Deine Kinder müssen gegen ihn gesündigt haben,
darum hat er sie verstoßen und bestraft;
sie haben bekommen, was sie verdienten.
Du aber solltest unermüdlich nach Gott suchen
und zum Allmächtigen um Gnade flehen.
Wenn du aufrichtig und ehrlich bist,
dann wird er sich noch heute um dich kümmern
und dir Haus und Hof wiedergeben, wie du es verdienst.
Was du früher besessen hast,
wird dir gering erscheinen, verglichen mit dem,
was Gott dir schenken wird!

Schau doch nur auf die früheren Generationen,
und achte auf die Weisheit unserer Väter!
Denn unser Leben währt nur kurze Zeit.
Wir wissen gar nichts;
wie ein Schatten huschen unsere Tage vorüber.
10 Aber die Alten können dich
aus ihrer reichen Erfahrung belehren.
Sie sagten:
11 ›Die Papyrusstaude steht nur dort,
wo Sumpf ist,
und ohne Wasser wächst kein Schilf.
12 Noch ehe es emporwächst,
ehe man es schneiden kann,
ist es schon verdorrt!‹
13 Genauso geht es dem, der Gott vergisst;
wer ihm die Treue bricht, hat keine Hoffnung mehr.
14 Worauf er sich stützte, das zerbricht,
und seine Sicherheit zerreißt wie ein Spinnennetz.
15 In seinem Haus fühlt er sich sicher,
aber es bleibt nicht bestehen;
er klammert sich daran, findet aber keinen Halt.
16 Zuerst wächst er auf wie eine Pflanze:
Voller Saft steht sie im Sonnenschein,
und ihre Triebe breiten sich im Garten aus.
17 Die Wurzeln verzweigen sich über die Steine
und finden einen Weg durch jede Ritze.
18 Doch ist die Pflanze mitsamt den Wurzeln einmal ausgerissen,
weiß keiner mehr, wo sie gestanden hat.

19 Wer Gott vergisst, dem geht es ebenso.
Von seinem Glück bleibt nichts mehr übrig,
und andere nehmen seinen Platz ein.

20 Vergiss es nicht:
Gott lässt einen Unschuldigen niemals fallen,
und einen Bösen unterstützt er nicht!
21 Er wird dich wieder lachen lassen
und dir Grund zum Jubel geben,
22 aber deine Feinde werden mit Schimpf und Schande überhäuft,
und ihr Haus wird vom Erdboden verschwinden!«

Hiob: Wie kann ein Mensch vor Gott sein Recht bekommen?

Hiob erwiderte:

»Das alles weiß ich doch schon längst!
Nur eins verrate mir:
Wie kann ein Mensch vor Gott sein Recht bekommen?
Wenn er dich vor Gericht zieht und Anklage erhebt,
weißt du auf tausend Fragen keine Antwort.
Gott ist weise, stark und mächtig!
Wer hat sich je erfolgreich gegen ihn gestellt?
Ohne Vorwarnung verrückt er Berge,
und wenn er zornig wird, zerstört er sie.
Er lässt die Erde zittern und beben,
so dass ihre Säulen wanken.
Er spricht nur ein Wort –
schon verfinstert sich die Sonne,
die Sterne dürfen nicht mehr leuchten.
Er allein hat den Himmel ausgebreitet,
ist über die Wogen der Meere geschritten.
Den Großen Wagen hat er geschaffen,
den Orion, das Siebengestirn
und auch die Sternbilder des Südens.
10 Er vollbringt gewaltige Taten;
unzählbar sind seine Wunder,
kein Mensch kann sie begreifen!

11 Unbemerkt zieht er an mir vorüber;
er geht vorbei, er streift mich,
und ich nehme es gar nicht wahr!
12 Niemand kann ihn hindern,
wenn er etwas aus der Welt rafft.
Wer wagt es, ihn zu fragen:
›Halt! Was tust du da?‹
13 Gott lässt seinem Zorn freien Lauf;
er unterwarf sich seine Feinde,
die dem Meeresungeheuer[e] halfen,
als es sich ihm widersetzte.
14 Und ich? Was kann ich denn erwidern,
mit welchen Worten ihm entgegentreten?
15 Auch wenn ich schuldlos wäre,
könnte ich ihm nichts entgegnen,
nein, ich müsste ihn als meinen Richter noch um Gnade anflehen!
16 Selbst wenn ich darauf drängte,
dass er mir endlich eine Antwort gibt,
würde er mich kaum beachten.
17 Im Gegenteil: Er würde im Orkan mich packen
und grundlos meine Qual vermehren.
18 Er gönnt mir keine Atempause
und sättigt mich mit Bitterkeit.
19 Wollte ich meine Kraft mit ihm messen –
er ist der Stärkere!
Aber es geht ums Recht!
Warum lädt er mich nicht vor,
damit ich mich verteidigen kann?
20 Selbst wenn ich recht hätte,
würde Gott mich zum Geständnis zwingen;
ich müsste mich vor ihm für schuldig erklären,
auch wenn ich schuldlos wäre.
21 Ja, ich bin unschuldig!
Aber es ist mir völlig gleichgültig,
so sehr hasse ich mein Leben!
22 Es ist alles einerlei; deshalb sage ich:
Egal ob du gottlos bist oder fromm –
er bringt dich doch um!
23 Und wenn sein Schlag plötzlich Unschuldige trifft,
dann spottet er noch über ihren Schmerz!
24 Fällt ein Land Tyrannen in die Hände
und werden alle Richter blind für das Recht,
so hat Gott das getan! Wenn nicht er – wer sonst?

25 Meine Jahre sind vorbeigeeilt,
schneller als ein Läufer,
verschwunden sind sie ohne eine Spur von Glück.
26 Sie gleiten dahin,
geschwind wie ein Boot,
sie fliegen rascher als ein Adler,
der sich auf die Beute stürzt.
27 Wenn ich mir sage: Jetzt will ich mein Klagen vergessen,
will glücklich sein und mich freuen,
28 dann packt mich doch die Angst,
dass meine Schmerzen wiederkommen.

O Gott, ich weiß es: Du hältst mich für schuldig!
29 Ich bin ja schon verurteilt –
wozu soll ich mich noch abmühen?
30 Wenn ich meine Hände mit Schneewasser wüsche
oder mit Lauge reinigte, als Zeichen meiner Unschuld,
31 dann würdest du mich doch in eine Jauchegrube tauchen,
dass sich selbst meine Kleider vor mir ekelten!

32 Wärst du ein Mensch wie ich,
dann könnte ich dir antworten!
Wir würden beide vor Gericht gehen,
damit der Streit entschieden wird.
33 Aber es gibt keinen, der zwischen dir und mir entscheidet
und für Recht sorgt[f].
34 Hör auf, mich zu bestrafen!
Halte deine Schrecken von mir fern!
35 Dann könnte ich endlich frei und furchtlos reden,
denn ich bin mir keiner Schuld bewusst[g]

Stell mich nicht als schuldig hin!

10 »Mein Leben ekelt mich an!
Darum will ich der Klage freien Lauf lassen
und mir die Bitterkeit von der Seele reden.
Gott, stell mich nicht als schuldig hin!
Erklär mir doch, warum du mich anklagst!
Gefällt es dir, dass du mich unterdrückst?
Warum verachtest du mich,
den du selbst so kunstvoll gebildet hast?
Die Pläne gewissenloser Menschen aber führst du zum Erfolg.
Hast du denn Menschenaugen?
Siehst du die Dinge nur von außen, so wie wir?
Sind deine Lebenstage auch begrenzt,
deine Jahre rasch vergangen so wie unsere?

Warum suchst du dann nach meiner Schuld
und hast es eilig, jede Sünde aufzuspüren?
Du weißt doch genau, dass ich unschuldig bin
und dass es keinen gibt, der mich aus deiner Hand befreit.

Deine Hände haben mich gebildet und geformt.
Willst du dich jetzt von mir abwenden und mich zerstören?
Bedenke doch, dass du mich wie Ton gestaltet hast!
Lässt du mich jetzt wieder zu Staub zerfallen?
10 Dir verdanke ich mein Leben:
dass mein Vater mich zeugte
und ich im Mutterleib Gestalt annahm.[h]
11 Mit Knochen und Sehnen hast du mich durchwoben,
mit Muskeln und Haut mich bekleidet.
12 Ja, du hast mir das Leben geschenkt
und mir deine Güte erwiesen;
deine Fürsorge hat mich stets bewahrt.
13 Aber tief in deinem Herzen denkst du anders;
in Wirklichkeit hast du dies beschlossen:
14 Auf jedes Vergehen willst du mich festnageln
und mich von meiner Schuld nicht mehr freisprechen.
15 Habe ich mich schuldig gemacht,
dann bin ich verloren!
Doch auch wenn ich im Recht bin,
kann ich nicht zuversichtlich sein,
denn man überhäuft mich mit Schande,
und mein Elend steht mir ständig vor Augen.
16 Will ich mich behaupten, jagst du mich wie ein Löwe
und richtest mich wieder schrecklich zu.
17 Einen Zeugen nach dem anderen lässt du gegen mich auftreten,
dein Zorn wird nur noch größer,
auf immer neue Art greifst du mich an.

18 Warum hast du zugelassen,
dass ich geboren wurde?
Wäre ich doch gleich gestorben –
kein Mensch hätte mich je gesehen!
19 Vom Mutterleib direkt ins Grab!
Ich wäre wie einer, den es nie gegeben hat.
20 Wie kurz ist mein Leben! Schon fast vergangen!
Lass mich jetzt in Frieden, damit ich noch ein wenig Freude habe!
21 Bald muss ich gehen und komme nie mehr wieder.
Ich gehe in ein Land, wo alles schwarz und düster ist,
22 ins Land der Dunkelheit und tiefen Nacht,
ein Land, in dem es keine Ordnungen mehr gibt,
wo selbst das Licht nur schwarz ist wie die Nacht.«

Zofar: Gottes Weisheit kannst du nicht begreifen!

11 Darauf erwiderte Zofar aus Naama:

»Soll diese Flut von Worten ohne Antwort bleiben?
Darf denn ein Schwätzer recht behalten?
Meinst du etwa, dein leeres Gerede verschlägt uns die Sprache?
Willst du weiter spotten,
ohne dass dich jemand zurechtweist?
Du sagst zu Gott:
›Meine Urteile sind völlig richtig!
In deinen Augen bin ich rein!‹

Hiob, ich wünsche nichts sehnlicher,
als dass Gott mit dir redet
und dir zeigt,
wie unendlich tief seine Weisheit ist!
Sie hat so viele Seiten!
Kein Mensch kann sie begreifen.

Glaub mir:
Gott sieht über viele deiner Sünden hinweg!
Kannst du die Geheimnisse Gottes erforschen
und die Vollkommenheit des Allmächtigen erfassen?
Der Himmel oben setzt Gott keine Grenze – dir aber allemal[i]!
Gott kennt die Welt der Toten unten in der Tiefe – du aber nicht!
Seine Größe überragt die Erde
und reicht weiter als das Meer!
10 Wenn er kommt,
dich gefangen nimmt und dann Gericht hält –
wer kann ihn daran hindern?
11 Nichtsnutzige Menschen kennt er ganz genau,
ihr böses Treiben entgeht ihm nicht.
12 Ein Hohlkopf kommt nicht zur Vernunft,
genauso wenig, wie ein Wildesel als Mensch geboren wird.

13 Hiob, fass einen klaren Entschluss:
Streck deine Hände empor und bete zu Gott!
14 Mach deinen Fehler wieder gut
und lass in deinen Zelten kein neues Unrecht geschehen!
15 Dann kannst du jedem wieder offen ins Gesicht sehen,
unerschütterlich und furchtlos stehst du im Leben deinen Mann!
16 Bald schon wird all dein Leid vergessen sein
wie Wasser, das versickert ist.
17 Dann kann dein Leben noch einmal beginnen
und leuchten wie die Mittagssonne,
auch die dunkelsten Stunden werden strahlen wie der lichte Morgen.
18 Dann hast du endlich wieder Hoffnung
und kannst zuversichtlich sein.
Abends siehst du noch einmal nach dem Rechten
und legst dich dann in Frieden schlafen.
19 Kein Feind schreckt dich auf – im Gegenteil:
Viele werden sich um deine Gunst bemühen.
20 Aber alle, die Gott missachten,
schauen sich vergeblich nach Hilfe um;
sie haben keine Zuflucht mehr!
Ihnen bleibt nur noch der letzte Atemzug.«

Hiob: Was ihr wisst, weiß ich auch!

12 Darauf entgegnete Hiob:

»Jawohl, ihr habt die Weisheit gepachtet,
und mit euch stirbt sie eines Tages aus!
Auch ich habe Verstand, genauso wie ihr;
ich stehe euch in nichts nach.
Was ihr sagt, weiß doch jeder!
Aber jetzt lachen sogar meine Freunde mich aus,
obwohl ich unschuldig bin
und keiner mir etwas Schlechtes nachsagen kann.

Früher hat Gott meine Gebete erhört.
Er gab mir Antwort, wenn ich zu ihm rief.
Wem es gut geht, der kann über das Unglück anderer spotten –
ein Schlag ins Gesicht für alle, die ohnehin schon stürzen.
Aber die Gewalttätigen bleiben unbehelligt.
Sie fordern Gott heraus,
sie meinen, ihn in der Hand zu haben,
und leben doch sicher und ungestört.

Von den Tieren draußen kannst du vieles lernen,
schau dir doch die Vögel an!
Frag nur die Erde und die Fische im Meer;
hör, was sie dir sagen!
Wer von diesen allen wüsste nicht,
dass der Herr sie mit seiner Hand geschaffen hat?
10 Alle Lebewesen hält er in der Hand,
den Menschen gibt er ihren Atem.
11 Soll nicht mein Ohr eure Worte prüfen,
so wie mein Gaumen das Essen kostet?
12 Man sagt, Weisheit sei bei den Alten zu finden
und ein langes Leben bringe Erfahrung.
13 Doch Gott allein besitzt Weisheit und Kraft,
nie wird er ratlos; er weiß, was er tun soll.
14 Was er abreißt, wird nie wieder aufgebaut,
und wenn er einen Menschen einschließt,
kann keiner ihn befreien.
15 Hält er den Regen zurück,
dann wird das Land von Dürre geplagt;
lässt er die Wasserfluten los,
dann wühlen sie es um.
16 Er allein besitzt Macht!
Was er sich vornimmt, das gelingt.
Gott hat beide in der Hand:
den, der sich irrt,
und den, der andere irreführt.
17 Königliche Ratgeber nimmt er gefangen;
erfahrene Richter macht er zu Narren.
18 Gefangene eines Königs befreit er,
doch den König selbst legt er in Fesseln.
19 Er führt die Priester weg mit Schimpf und Schande
und bringt alteingesessene Familien zu Fall.
20 Berühmten Rednern entzieht er das Wort,
den Alten nimmt er die Urteilskraft.
21 Fürsten gibt er der Verachtung preis,
und die Mächtigen macht er schwach.
22 Die Dunkelheit überflutet er mit Licht,
ja, die tiefsten Geheimnisse deckt er auf.
23 Er lässt Völker mächtig werden
und richtet sie wieder zugrunde;
er macht ein Volk groß und vertreibt es wieder.
24 Ihren Königen nimmt er den Verstand
und führt sie hoffnungslos in die Irre.
25 Im Dunkeln tappen sie umher
und torkeln wie Betrunkene.«

Wollt ihr für Gott Partei ergreifen?

13 »Das alles ist mir bestens bekannt!
Ich habe es mit eigenen Augen gesehen
und von anderen gehört.
Was ihr wisst, weiß ich auch,
ich stehe euch in nichts nach!
Aber ich will mit dem Allmächtigen reden,
vor ihm will ich mich verteidigen.
Ihr übertüncht ja die Wahrheit mit euren Lügen!
Kurpfuscher seid ihr allesamt!

Wenn ihr doch nur schweigen würdet,
dann könnte man euch noch für weise halten!
Hört jetzt, was ich zu meiner Verteidigung sage,
und gebt acht, wie ich meinen Fall vortrage!
Wollt ihr für Gott lügen
und mit falschen Aussagen für ihn eintreten?
Wollt ihr Partei für ihn ergreifen
und seinen Streit ausfechten?
Das kann doch nicht gutgehen!
Meint ihr, dass er sich täuschen lässt,
wenn er euch ins Verhör nimmt?
10 Zurechtweisen wird er euch,
weil ihr heimlich für ihn Partei ergreift!
11 Sein Erscheinen wird euch zu Tode erschrecken,
die Angst wird euch packen!
12 Eure tiefsinnigen Sprüche sind wertlos wie ein Häufchen Asche!
Eure Verteidigung zerbröckelt wie Lehm!

13 Schweigt jetzt! Ich will reden, komme, was da wolle!
14 Ich bin bereit, Kopf und Kragen zu riskieren,
ja, ich setze mein Leben aufs Spiel!
15 Gewiss wird Gott mich töten,
dennoch vertraue ich auf ihn,
denn ich will mein Leben vor ihm verantworten.
16 Schon das wird meine Rettung sein, denn wer mit Gott gebrochen hat,
darf gar nicht erst in seine Nähe kommen!
17 Hört jetzt genau zu, wenn ich meinen Fall klarstelle!
Achtet auf jedes Wort!
18 Ich habe mich auf die Verhandlung bestens vorbereitet
und bin sicher, dass ich recht behalte.
19 Kann mir jemand eine Schuld nachweisen?
Dann will ich schweigen und auf der Stelle sterben.
20 Aber zuerst habe ich noch zwei Bitten an dich, o Gott;
erfülle sie mir, damit ich dir überhaupt begegnen kann:
21 Nimm dieses schmerzhafte Leiden von mir
und die schreckliche Angst, mit der du mich plagst!
22 Rede du zuerst, dann werde ich antworten,
oder lass mich beginnen, und dann antworte du!

23 O Gott, sag mir: Wo bin ich schuldig geworden?
Welche Sünden habe ich begangen?
Wo habe ich dir die Treue gebrochen?
24 Warum ziehst du dich von mir zurück
und betrachtest mich als deinen Feind?
25 Warum verfolgst du mich und jagst mir Schrecken ein?
Ich bin doch nur ein welkes Blatt, ein dürrer Halm!
26 Ein bitteres Los hast du über mich verhängt;
du strafst mich sogar für die Sünden meiner Jugend.
27 Du legst meine Füße in Ketten,
beobachtest jede Bewegung
und bewachst mich auf Schritt und Tritt[j].
28 So zerfalle ich langsam wie ein Holz, das vermodert,
wie ein Kleid, das die Motten zerfressen.«

Gott, versteck mich doch bei den Toten!

14 »Wie vergänglich ist der Mensch!
Wie kurz sind seine Jahre!
Wie mühsam ist sein Leben!

Footnotes

  1. 5,23 Wörtlich: Dein Bund wird sein mit den Steinen auf dem Feld.
  2. 6,4 Wörtlich: mein Geist trinkt ihr Gift.
  3. 6,14 Der hebräische Text ist schwer zu deuten.
  4. 7,19 Wörtlich: Du lässt mich nicht einmal so lange in Ruhe, bis ich meinen Speichel heruntergeschluckt habe.
  5. 9,13 Wörtlich: Rahab. – Vgl. »Rahab« in den Sacherklärungen.
  6. 9,33 Wörtlich: der seine Hand auf uns beide legt. – Wahrscheinlich eine symbolische Handlung, mit der ein Schiedsspruch verkündet wurde.
  7. 9,35 So in Anlehnung an die griechische Übersetzung. Der hebräische Text ist nicht sicher zu deuten.
  8. 10,10 Wörtlich: Hast du mich nicht wie Milch ausgegossen und wie Käse gerinnen lassen?
  9. 11,8 Wörtlich: Was willst du tun?
  10. 13,27 Wörtlich: und ritzt die Sohlen meiner Füße ein.